Protokoll der 12. Abendaussprache


Quelle: Berlin, Landesarchiv: Rep. 140, Acc. 4573: Schulfarm Insel Scharfenberg: Chronik der Schulfarm Insel Scharfenberg, Bd. I, o.S.

[Datum: Fr, 08.09.1922 - Protokollant: Alfred Kraemer]


Kraemer leitet die Abendaussprache durch drei Sätze aus der A-Dur Sonate von Mozart ein.

Herr Blume erklärt, daß noch einige Mitteilungen zu machen wären, bevor wir zur Tagesordnung übergingen.

1.) A. Fritz gibt sodann bekannt, daß der Amerikaner, der uns heute besucht hätte, ihm für ein von ihm gezeichnetes Bild 1.000 M. gegeben hätte zur Verwendung für die Gesamtheit. Er schlägt vor, eine Buchbinderschneide dafür zu kaufen und somit die Buchbinderwerkstatt zu eröffnen. Herr Blume weist darauf hin, daß das Verfügungsrecht zwar A. Fritz besäße, jedoch auch andere Vorschläge willkommen seien. Herr Wahle und Herr Dorn meinen, es sei besser, das Geld zur guten Ausstattung der Tischlerwerkstatt zu verwenden, man brauche noch Feile, Bohrer, Säge, Stemmeisen, Meißel und Ambos. Fritz findet, man solle Herrn Netzband bei dieser Frage zu Rate ziehen. Herr Blume verspricht, sich nach dem Preise einer Buchbinderschneide zu erkundigen.

2.) Ferner teilt Herr Blume mit, daß Herr Rosolleck, obgleich er jetzt leider durch seinen Beruf gefesselt sei, doch das Angefangene fortsetzen und, wenn irgend möglich, Sonntags nach Scharfenberg kommen wolle, um Chorübungen zu veranstalten. Auch hatte Herr Rosolleck bereits einen geeigneten Geigenlehrer in Tegel gefunden; er selbst würde Näheres mitteilen.

3.) Herr Blume kommt noch einmal im Auftrage des Lehrerkollegiums auf den wunden Punkt der Pflaumenbaumaffäre zu sprechen. Wer nicht soviel Gemeinschaftsgefühl besitze, derartiges zu unterlassen, müsse fort. Von einer solchen Gewaltmaßregel hätte man diesmal Abstand genommen und es bei einer öffentlichen Verwarnung [Anm. 1] belassen. Schadenersatz sei geleistet, doch sei es bedauerlich, daß sich nicht mehr gemeldet hätten, wo es doch so gut wie feststünde, daß mehr daran beteiligt seien [Anm. 2].

I. Antrag Blume auf genauere Führung des Protokolls. Herr Blume verliest aus dem Protokoll der XI. Abendaussprache einige Sätze, die in ihrer Fassung nicht haltbar waren, und beantragt im Anschluß daran, das Protokoll vor dem Einschreiben in die Chronik der Gemeinschaft vorzulesen. Der Antrag wird mit 13:12 Stimmen angenommen. Ebenso wird der Antrag Blume, einen Wechsel im Protokollieren eintreten zu lassen, angenommen. Kraemer bittet, daß bereits in der nächsten Abendaussprache ein anderer das Protokoll führe.

II. Antrag des Lehrerkollegiums auf Reformierung des Studientages. Herr Blume erklärt, daß man in einer Zusammenkunft der Lehrer der Meinung gewesen sei, daß der Studientag stark der Reform bedürfe. Auf Ulms Frage, was Reform bedeuten solle, geistige oder körperliche Arbeit, gibt Herr Blume zur Antwort, daß man bisher beides hätte zur Geltung kommen lassen, es kämen jedoch auch Tage, die dem stillen Studium gewidmet seien. Grotjahn findet, der Studientag sei nicht für Schularbeit, sondern ausschließlich für Lieblingsbeschäftigung da. Herr Blume sagt, er denke bei Reform an die zweite Sprache der Oberstufe; das sei wohl nicht bei allen Lieblingsstudium, verlange aber eine ganze Menge Zeit. Es wäre doch interessant zu erfahren, wie weit das Studium gediehen sei bei den 8 Schülern, die die zweite Sprache außerhalb des Unterrichts treiben müßten. Ulm, Grotjahn und Baader erklären, daß bisher noch nicht allzuviel daraus geworden sei. Herr Blume meint, wenn man darin etwas erreichen wolle, müsse man sich ein Programm aufstellen und alles systematisch gestalten. Herr Dorn hält es auch für Wesentlich, sich nach der Arbeit Notizen über das Geleistete zu machen; man hätte einen Überblick über die Fortschritte, die man gemacht, und damit einen Anhalt für die kommende Arbeit. Herr Wahle findet, daß alles noch zu lässig betrieben werde. Die zweite Sprache sei zur Erlangung des Ziels unbedingt notwendig, und die Lehrer verpflichtet, darauf zu achten, daß jeder seine Pflichtarbeit erledige. Herr Blume: Die Arbeit muß intensiver werden. Mancher weiß nicht, was er anfangen soll; der kann sich doch an den Fachvertreter wenden und mit diesem einen Plan ausarbeiten. Wernecke wirft ein, daß das Holzfällen viel Zeit in Anspruch nehme; Herr Dorn entgegnet ihm, daß vier Stunden Arbeit genügend seien, wenn sie überhaupt betrieben würde. - Ulm beantragt, das Musizieren am Studientag gänzlich zu unterlassen, da es das Studium störe. Herr Blume erkundigt sich bei K. Berisch, wie man es damit in Wickersdorf gehalten habe, dieser erklärt jedoch, daß er keinen Studientag mehr erlebt habe, da dieser bereits abgeschafft gewesen sei. Böhm beantragt, das Verbot des Musizierens am Studientag nur auf einen halben Tag auszudehnen. Herr Blume setzt hinzu, daß dann allerdings die Teilung in zwei Gruppen vormittags und nachmittags nicht gemacht werden könnte. Antrag Böhm wird mit 15 Stimmen angenommen. Herr Blume sagt, daß eine Reform des Studientages natürlich nicht durch einen Mehrheitsbeschluß zu erreichen sei, Zweck des Antrages sei gewesen, einmal darauf zu stoßen, daß die zweite Sprache von nun an intensiver in Angriff genommen werde.

III. Anträge Stenger und Grotjahn betreffend Ausschmückung der Zimmer und öffentlichen Räume.

1. Antrag Stenger, die Gemeinschaft über die aufzuhängenden Bilder in öffentlichen Räumen beschließen zu lassen, wird von der Mehrheit angenommmen, und damit die Anfrage, ob eine Kunstkommission eingesetzt werden solle, verneint.

2. Antrag Grotjahn, die auf dem Boden aufgehängten Bilder zu entfernen, wird mit 5:20 Stimmen abgelehnt [Anm. 3].

3. Antrag Stenger, die Gemeinschaft auch über die künstlerische Ausschmückung der Einzelzimmer beschließen zu lassen, wird allseits mit Protest als unberechtigtes Eingreifen in die Angelegenheit des einzelnen abgelehnt.

IV. Antrag Blume auf Ferienverlegung. Herr Blume begründet seinen Antrag mit einem Hinweis auf die riesigen Kohlenpreise. Wir bekämen wohl Kohlen für den Schulraum, doch nicht für die Wohnzimmer. Es sei besser für uns, die Herbstferien den Winterferien anzugliedern, da man dann mit Kohlen sparen könne. Frey meint, da dies eine pekuniäre Frage sei, müßten die Eltern dabei zu Rate gezogen werden. Herr Blume gibt dies zu, will jedoch erst die Stimmung in unserer Gemeinschaft feststellen. Mit 15:10 Stimmen wird der Antrag angenommen. Man beschließt dann auf Anregung Blumes hin, am Sonntag in acht Tagen eine Schulgemeinde einzuberufen.

V. Antrag Grotjahn, in der nächsten Woche statt Spielen Holzholen anzusetzen. Ulm stimmt dem zu und beantragt, dann das Holzholen und Sägen obligatorisch zu machen. Herr Blume schlägt vor, einen Mann als Hilfe zum Sägen anzunehmen, doch Ulm meint, man solle das Geld sparen, wir würden es allein schaffen. Herr Blumes Vorschlag wird abgelehnt, ebenso Ulms Antrag, das Holzholen und Sägen obligatorisch zu machen.

Auf Herrn Blumes Frage, wann die nächste Abendaussprache stattfinden solle, beschließt die absolute Mehrheit, sie auf den Sonntag zu legen (acht Stimmen für Sonnabend, 12 für Sonntag, 2 für Dienstag).

VI. Anfragen und Anregungen.

1.) Ewerth findet, daß eine Wanderung nach Tegel zum Physikunterricht unötig sei, wenn man dort keine Experimente mache. Herr Wahle gibt dies zu, erklärt es jedoch nicht für möglich, das vorher zu wissen.

2.) Frey bittet die, deren Kaffeetassen entzwei gegangen sind, neue mitzubringen. Herr Blume bittet im Anschluß daran den Küchendienst, recht vorsichtig den Korb mit dem Geschirr zu tragen.

3.) Stenger wünscht, daß die Ziege ein einer Viehversicherung versichert wird. Herr Blume meint, daß Stenger sich nach den Kosten erkundigen solle.

4.) Grotjahn wendet sich gegen die Unsitte, Blätter von Gebüsch und von Bäumen abzureißen.

5.) Ulm erinnert den Küchendienst an seine Pflicht, täglich vier Körbe Holz für die Küche zu holen.

6.) Herr Blume verliest zum Schluß einen Brief vom Wasserwerk, in dem uns das innerhalb des Zaunes befindliche Obst zugesprochen wird. Er gibt zu bedenken auf, wer nun über das Obst zu verfügen hätte, dieser oder jener, oder die Gesamtheit.

W. Grundschöttel beschließt die 12. Abendaussprache mit den "Grillen" von Schumann.


Anmerkungen::

Anm. 1:
Später wird auf Scharfenberg in solchen Fällen regelmäßig von einer 'öffentlichen Mißbilligung' gesprochen.

Anm. 2:
Das Thema 'Pflaumenbaumaffäre' wurde auch in der im September 1922 stattfindenden Schulgemeindesitzung besprochen. Ein Protokoll dieser Sitzung existiert nicht, doch heißt es in: Aus dem Leben der Schulfarm Insel Scharfenberg. Bilder, Dokumente, Selbstzeugnisse von Eltern, Lehrern, Schülern, red. von Wilhelm BLUME, in: Das Werdende Zeitalter. Eine Monatsschrift für Erneuerung der Erziehung, Jg. 7 (1928), S. 329-404, hier S. 388: "In der Septemberversammlung gibt u.a. Erich G.[awronski] in seiner Eigenschaft als Ausschußmitglied in freier Rede einen Bericht über die seit der letzten Schulgemeinde verflossenen Wochen; ein Vater protestiert gegen den Ausdruck 'moralische Entgleisung', den der Berichterstatter bei der Erwähnung des Plünderns eines dem derzeitigen Pächter gehörenden Pflaumenbaumes gebraucht hatte; er müsse seinen Sohn in Schutz nehmen, denn er könne den Fall nur für einen dummen Jungenstreich gelten lassen. Erich G.[awronski] verteidigt seinen Ausspruch als bei dem gespannten Verhältnis zwischen Pächter und Schule diese in Unrecht setzte. Die Schulgemeinde stimmt dieser schweren Beurteilung des Falles fast einhellig zu."

Anm. 3:
Vgl. Protokoll der 11. Abendaussprache vom 24.08.1922 (TOP VII).



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